Montag, 5. Oktober 2009

Buchentwurf ohne Titel - "Kapitel 1"

Isabelle befand sich im Flugzeug auf dem Weg von Frankfurt nach Los Angeles. Von den gut 16 Stunden Flugzeit, hatte sie bereits mehr als die Hälfte hinter sich gebracht und befand sich bereits über dem nordamerikanischen Kontinent. Dies lies sich allerdings nur anhand des Bildschirms nachvollziehen, der am Kopfende eines jeden Sitzes befestigt war. Im Gegensatz zu ihrem stämmigen Nachbarn, hatte Isabelle die reichhaltige Filmauswahl an Board bisher nicht wahrgenommen. Sie hatte sich mit Büchern, ein wenig Musik auf ihrem iPod und einem Blick auf die derzeitige Position des Fliegers begnügt. Sie befanden sich gerade über Kanada, genauer überquerte die Maschine den Beverly Lake, von dem Isabelle zuvor aber noch nie etwas gehört hatte.

Der kräftiger gebaute Mann mittleren Alters neben ihr war mittlerweile bei Film Nummer 4 angekommen, wenn sich Isabelle nicht verzählt hatte. Begonnen hatte er mit Terminator Salvation. Um sich auch richtig heimisch zu fühlen, ließ er sich Chips und eine Coke Light von der Stewardess bringen. Zudem musste er seine Kopfhörer bis auf’s Maximum ausgereizt haben, so dass es Isabelle überraschte, dass er die nächsten Filme überhaupt noch akustisch verstehen konnte. Während des Abspannes einen jeden Filmes schaute er mit einem freundlichen Lächeln zu Isabelle rüber und gab ihr seine persönlichen Empfehlungen welche der bisherigen Filme lohnenswert waren. Isabelle hörte aus Höflichkeit zu, nickte und lächelte in regelmäßigen Abständen um den scheinbar mitteilungsbedürftigen Mann nicht zu enttäuschen. Während er darüber philosophierte wie Terminator 4 doch geworden wäre, wenn Arnold Schwarzenegger sich noch ein weiteres Mal für die Rolle verpflichtet hätte, war Isabelle in Gedanken bereits an einem vollkommen anderem Ort.

Sie dachte darüber nach wie sich ihre persönliche Situation allein in den letzten 2 Wochen verändert hatte. Isabelle hatte vor 2 Wochen ihr Psychologiestudium abgeschlossen. Sie hatte sich im Laufe der letzten Jahre auf klinische Psychologie spezialisiert, stets mit dem Ziel vor Augen jenen Hilfebedürftigen wieder eine Perspektive aufzuzeigen und zu ermöglichen. Das Problem psychischer Störungen war ein alter Bekannter in Isabelle’s Familie. Bereits seit dem Alter von 5 Jahren war Isabelle nur von ihrem Vater großgezogen worden, da sich der Zustand ihrer Mutter dramatisch verschlechtert hatte. Sie wurde in eine geschlossene Klinik mit der Diagnose der Schizophrenie eingewiesen und hatte seitdem nur noch einen sehr speziellen Kontakt zu ihrer Tochter. Von einem familiären Verhältnis konnte keine Rede mehr sein. Isabelle’s Vater, Thomas Kunze, hatte seit fast 2 Jahrzehnten gar keinen Kontakt mehr zu seiner Frau, während Isabelle in regelmäßigen Abständen noch mit ihr kommunizierte.


Thomas war in den ersten Wochen nach der Klinikeinweisung fast 24 Stunden täglich in der Nähe seiner Frau Conny gewesen. Er war es gewohnt, dass die Krankheit bei ihr schubweise verlief. Wie oft hatte er zu Hause mit ansehen müssen wie Conny mitten in der Nacht panisch aufwachte und Stimmen hörte, die sie zutiefst beleidigten. Inmitten der sich ausbreitenden Panik klagte sie vor allem häufig über Personen, die im Stande waren ihre Gedanken zu lesen. Conny bekam immer mehr das Gefühl nicht mehr über sich selbst bestimmen zu können. Die Versuche von Thomas, Freunden und später von Ärzten sie davon zu überzeugen, dass niemand im Raum war und sie sich in Sicherheit befand, waren meist hoffnungslos. Jene Positivsymptome bzw. Übersteigerungen des normalen Erlebens, prägten Conny’s Leben im zunehmenden Maße. Anfangs ließen sich die Schübe noch durch Medikamente kontrollieren, so dass Conny ihren Job als Lehrerin weiter nachgehen konnte. Sie holte Isabelle aus dem Kindergarten und bemühte sich ihre Rolle als Mutter so gut wie möglich zu meistern und ihrem Kind die verdiente Liebe entgegenzubringen. Zwischen ihren Schüben kam es häufig zur einer vollständigen Zurückbildung der Symptome wobei stets gewisse Reste zurückblieben. Auch wenn Conny in diesen Phasen nicht von Halluzinationen geplagt war, begann sie sich zunehmend zu isolieren und entwickelte zunehmend depressive Züge. Sie bemühte sich zwar ihr Leben routinemäßig weiterlaufen zu lassen, ihre Umwelt reagierte aber auf ihre Veränderung. Allen voran nahmen Thomas‘ Sorgen zu, der sich vollkommen hilflos vorkam. Er versuchte seiner Frau so viel wie möglich abzunehmen, kümmerte sich nun hauptsächlich um Isabelle und verkürzte seine Arbeitszeiten um möglichst alles unter einen Hut zu bekommen.

Kurze Zeit bevor Conny eingeliefert wurde, hatte sich die Situation aber so dramatisch verschlechtert, dass eine Betreuung zu Hause nicht mehr möglich war. Conny litt unter kontinuierlichen Halluzinationen, die nun endgültig die Oberhand in ihrem Leben gewonnen hatten. Gepaart mit ihrer Antriebslosigkeit und der Tatsache, dass sie zunehmend den Wunsch äußerte aus dem Leben zu scheiden, beschlossen die zuständigen Ärzte mit Thomas seine Frau einzuliefern.


Isabelle’s Nachbar drehte sich gerade wieder zu ihr um (oder hatte sich vielleicht auch nie abgewendet), als sie aus ihrem Tagtraum erwachte. Er schien seinen Terminator Monolog abgeschlossen zu haben und fragte ob alles in Ordnung sei.


“Alles bestens. Ich muss wohl kurz weggenickt sein”, entgegnete Isabelle.

“Sie schienen zumindest sehr in ihre Gedanken vertieft zu sein.”
“Ich hoffe ich habe nicht angefangen zu schnarchen...”

“Nein, nein. Im Gegenteil. Sie haben ein paar Worte laut von sich gegeben. Aber nichts für ungut. Ich wollte mich nur versichern, dass es ihnen gut geht.


Der Mann setzte seine Kopfhörer auf und schaute erneut gebannt auf seinen kleinen Bildschirm.
Isabelle hatte bereits mehrfach von Personen um sich herum gehört, dass sie schlafend nicht komplett still war. In ihrem Zimmer bzw. bei guten Freunden war das nicht unbedingt ein Problem aber unter Fremden war es ihr stets unangenehm gewesen. Sie kam sich immer irgendwie ein wenig krank bzw. abnormal dabei vor, da das Sprechen im Schlaf sicher nicht die Norm war. Während ihres Studiums hatte sie zumindest gelernt, dass betroffene Personen keine intimen Geheimnisse aussprachen. Dies war früher ihre größte Sorge gewesen. Was wenn sie neben ihrem Vater auf der Couch im Wohnzimmer einschlief und plötzlich über Dinge sprach, die sie nicht mal mit ihrer besten Freundin Amber teilte. Auch wenn es aus heutiger Sicht total irrelevante Dinge waren, wie einer ihrer vielen Phasen, in denen Isabelle sich mal wieder in irgendeinen Kerl verliebt hatte. Damals wäre ihr nichts unangenehmer gewesen als mit ihrem Vater darüber zu sprechen. Dafür waren normalerweise Mütter da, was sich jedoch aufgrund Conny’s Zustand als schwieriger als normal herausstellte. Auch wenn Isabelle ihrer Mutter stets viele ihrer Gefühle anvertraute, wünschte sie sich häufig nichts sehnlicher als eine Mutter, die am Abend vorm ins Bett gehen noch einmal bei ihr vorbeischauen würde um sich mit ihr zu unterhalten. Dieser Wunsch und zugleich Traum würde zumindest nicht in diesem Leben in Erfüllung gehen.


Gute 6 Stunden später landete die Maschine in L.A. Isabelle wandte sich beim Aussteigen noch einmal an ihren Nachbarn und wünschte ihm eine gute Zeit.

“Danke, die werde ich haben. Ich habe sie vorhin gar nicht gefragt ob dies ihr erster Besuch in L.A. ist.”
Ja, erstes Mal in Kalifornien. Es ist überhaupt meine erste Reise außerhalb Deutschlands, die ich ohne Freunde oder Familie antrete. Und sie? Machen sie hier Urlaub oder besuchen sie jemanden?

Mit einem erneuten Lächeln auf den Lippen gab der Mann Isabelle die Hand und stellte sich vor.
Sie brauchen mich nicht die ganze Zeit zu siezen. Wer befinden uns schließlich nicht mehr in den 50ern. Mein Name ist Jonathan, aber nennen sie mich einfach John.”
Isabelle schüttelte seine Hand und stellte sich vor. Wenn auch anfangs etwas skeptisch, begann sie sich im Laufe der nächsten Minuten zu entspannen, während John ein wenig aus seinem Leben in den Staaten erzählte. Auch wenn der Flieger gelandet war, so schien es ein Problem mit der Fluggastbrücke zu geben, die bisher immer noch nicht angedockt hatte.


Ich habe einen Großteil meines Lebens in Kalifornien verbracht”, begann John, stets darauf bedacht Augenkontakt mit Isabelle zu halten. Diese typisch deutsche Angewohnheit schien er jedenfalls in den USA nicht abgelegt zu haben, dachte sich Isabelle.

Angefangen hat es damit, dass ich damals ein Stipendium von meiner Uni bekam. Ich hatte die Wahl zwischen einem Studienplatz an der University of Aberdeen oder an der University of California. Zumindest waren das die beiden Optionen, die ich ernsthaft in Erwägung zog. Zu Hause in München hatte ich mein Staatsexam in Medizin gerade abgeschlossen und wollte nun in die Forschung gehen. Um es kurz zu machen. Mein Betreuer Dr. Grizler kam auf mich zu und erzählte mir von verschiedenen Projekten an Partneruniversitäten. Ein Forschungsprogramm an der UCLA, der Universität of California, beschäftigte sich gerade damit neue Behandlungsprogramme für psychisch erkrankte Patienten zu entwerfen. Ich bewarb mich letztendlich dort für eine Doktorandenstelle, wurde angekommen und bekam das Jahr auch noch von meiner Uni finanziert. Ich machte meinen PhD, meinen Doktor, dort und habe seitdem häufig Gastvorlesungen gegeben. Zudem treiben mich neben meiner Forschungsarbeit häufig noch andere beziehungstechnische Geschichten wieder zurück.
Ich denke dies fasst es ganz gut zusammen
”, beendete John seinen kurzen Lebensabriss und blickte zu Isabelle auf, die ihm aufmerksam zugehört hatte.


Wenn das mal wieder kein Zufall ist, dass ich genau auf einen Typen stoße, der sich auch irgendwelchen psychischen Studien widmet, dachte Isabelle. Vor allem der Punkt, dass John an einem verbessertem oder zumindest neuem Programm für die Behandlung psychischer Krankheiten arbeitete, lies sie aufhorchen.

Warum genau handelte es sich bei diesem Forschungsprogramm?”, fragte Isabelle mit einem leicht unsicheren Unterton.

Das Forschungsprogramm existiert immer noch und ist auf einen langen Zeitraum angelegt. Grundsätzlich besteht das Programm aus 3 Disziplinen. Wir versuchen Forschung, Bildung/Aufklärung mit einer Behandlung und einem Pflegeprogramm zu vereinen. Unsere Forschung umfasst dabei verschiedenste Patienten - Menschen die bereits ihr Leben lang mit den Symptomen psychischer Krankheiten wie Schizophrenie leben, als auch welche die gerade erst mit der Diagnose konfrontiert wurden. Ich habe mich dabei hauptsächlich der Untersuchung des menschlichen Gehirn gewidmet. Viele meiner Kollegen stimmen mir zu, wenn ich behaupte, dass man nur mit einem voranschreitenden Verständnis des menschlichen Gehirns das Problem bzw. die Krankheit im Kern bekämpfen kann. Dieser Sache widme ich mich jetzt schon seit etwa 20 Jahren. Auch wenn wir Fortschritte gemacht haben, gibt es leider immer noch zu viele Patienten...” John machte eine kurze Pause. Er schien ein wenig in sich zu gehen, über etwas nachzudenken - etwas was seine Laune offensichtlich etwas trübte. Schließlich beendete er seinen Satz dennoch, wenn auch in einer weiter ruhigeren und leiseren Stimmlage: “Es existieren immer noch zu viele Menschen, denen wir bislang nicht helfen konnten.”


Isabelle war nicht entgangen, dass ihre Frage scheinbar einen sensiblen Punkt getroffen hatte. Auch wenn sie an John’s Forschung brennend interessiert war und nicht so recht wusste warum der letzten Satz ihm scheinbar einen gewissen Schmerz zugesetzt hatte, beließ sie es hierbei. Sie kannte Situationen wie diese nur zu gut aus ihrer eigenen Vergangenheit.


Die Leute begannen sich nun aus dem Flugzeug zu bewegen. Offensichtlich hatte sich das Problem mit der Fluggastbrücke geklärt. Der Großteil der Passagiere konnte es kaum erwarten schnellst möglich ihr Gepäck zu bekommen und dem Flughafen den Rücken zu kehren. Isabelle nahm schnell noch einen Block aus ihrer Tasche und kritzelte etwas auf ein Stück Papier. Sie faltete es ein paar Mal, wandte sich noch einmal an John und gab ihm die Hand, in der sie den Papierzettel hielt.

“Ich wünschte dir eine gute Zeit in Kalifornien. Vielleicht sieht man sich mal wieder”, rief Isabelle ihm noch im Gehen hinterher. Ich hoffe es zumindest, murmelte sie leise vor sich hin, als sie den Ausgang der Maschine passierte. Ich hoffe es...


1 Kommentar:

  1. Hi Robert, der Anfang wäre für mich ein Grund weiter zu lesen. Marco

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