Kapitel 2
Nachdem Isabelle ihr Gepäck vom Laufband geholt und sich mit der amerikanischen Einreisebehörde verständigt hatte, versuchte sie sich zu orientieren. Sie befand sich im Terminal 7, einer von 9 Passagierterminals, und blickte geradezu auf einen McDonalds. Auch wenn es im Flugzeug 2 größere Mahlzeiten gab, war die Letzte doch schon ein wenig her. Vielleicht hatte Isabelle auch einfach das letzte Essen verpasst, da sie von der Außenwelt mehr oder minder abgeschnitten war. Sie hatte ihre Kopfhörer die letzten 4 Stunden über aufgehabt, sich eine Schlafmaske aufgesetzt und tief und fest in einer Decke kuschelnd geschlafen.
Wie zu Hause bestellte Isabelle einen BigMac mit einer mittleren Portion Pommes sowie eine Coke Light und setzte sich an einen abgeschotteten Ecktisch am hinteren Ende des Restaurants. Isabelle erinnerte sich daran wie ihr Amber die letzen Stunden im Ohr gelegen und sie darum gebeten hatte, sie anrufen sobald das Flugzeug in Los Angeles gelandet war.
Die beiden waren beste Freundinnen gewesen seit sie sich bei einem Wandertag in der 5. Klasse getroffen hatten. Amber Livingston ging in Isabelle’s Parallelklasse, weshalb sich die beiden Mädchen größtenteils nur in ihrer Freizeit sahen. Dies änderte sich 2 Jahre später als sich beide in derselben Klasse im Gymnasium wieder fanden.
Isabelle schaute kurz auf ihre Uhr. Es war 19:00 nach kalifornischer Zeit, sprich 4:00 morgens in Deutschland.
Ach, was soll’s. Die schläft sowieso nie.
Isabelle nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte Ambers Number. Es war kein Freizeichen zu hören. Dennoch war Amber’s Stimme bereits nach wenigen Sekunden zu hören.
“Hi Isi. Wie schön dass du anrufst. Hat alles gut geklappt? Wie war dein Flug?”
“Alles bestens Amber. Merke schon ein wenig, dass der Tag für mich heute mehr als 24 Stunden hat. Versuche gerade meinen Schlaf durch einen guten fetten McDonalds Burger wettzumachen.”
“Klingt doch super. Deine Mutter und ich haben uns schon ein wenig Sorgen um dich gemacht. Man weiß ja schließlich was für Leute in einer Maschine sitzen.”
“Du hast mit meiner Mum gesprochen? Wieso das denn?”, fragte Isabelle ein wenig perplex.
“Ich habe vorhin mit ihr gesprochen. Irgendjemand muss sie doch informieren, dass sich ihre Tochter mal eben entschieden hat Urlaub in den Staaten zu machen. Du hast es ihr ja offenbar verschwiegen”, entgegnete Amber mit einem sarkastischen Unterton. Sie liebte es Isabelle mit ihrer Mutter aufzuziehen und trieb dieses Spiel nun bereits seit mehreren Jahren.
“Ach komm. Jetzt hör doch auf so zu tun als ob du immer die ehrliche, stets zu Diensten stehende Tochter warst. Du hast ganz anderen Mist auf dich wachsen lassen, den ich jetzt aber nicht ausführen will. Meine Handyrechnung ist so schon immer astronomisch hoch. Wenn ich jetzt deine ganzen heimlichen Männerbesuche aufzähle muss ich nen Kredit für die nächste Rechnung aufnehmen.”
“Ja, ja...du willst mich loswerden. Ist schon ok, Isi. Melde dich einfach in den nächsten Tagen noch mal und genieße jetzt erstmal den Sonnenschein im fernen Kalifornien.”
“Werde ich machen Süße. Bestell Mutti nen lieben Gruß von mir.”
“Mach’ ich. Wir hören uns.”
“Bis bald.”
Isabelle legte ihr Handy auf ihr Tablett und begann sich an ihr Abendessen zu machen.
Während sie einen Bissen von ihrem Burger nahm, begann sie die Leute um sich herum zu beobachten. Sie wurde den Eindruck nicht los, dass sie seit dem Verlassen des Flugzeugs von irgendjemandem beobachtet wurde. Zum ersten Mal war es ihr beim Abholen ihrer Gepäckstücke aufgefallen. Es hatte eine Weile gedauert bis die Koffer aus dem Stauraum der Lufthansa Maschine auf dem Transportband gelandet waren. Um sich die Zeit zu vertreiben hatte sich Isabelle ein Buch aus ihrem Rucksack genommen und sich anschließend auf ihre Jacke gesetzt. Aufgrund des Lärmes schaffe sie es aber nicht über 1-2 Seiten hinaus. Isabelle verlor sich in regelmäßigen Abständen darin den Menschen um sie herum Namen und Geschichten zuzuschreiben. Den Großteil der Leute sah sie nur einmal an sich vorbeilaufen. Die Meisten liefen zielgerichtet auf das Gepäckfließband zu, um möglichst zu den Ersten zu gehören, die den Flughafen samt ihrer Koffer verlassen konnten. Jedoch gab es eine Person, die ihr besonders im Gedächtnis geblieben war. Es war ein Mann, Isabelle schätzte ihn auf Ende 20, der sich vor allem durch sein markantes Äußeres von der Masse abhob. Er trug graue Schuhe aus Glattleder von Versace zu einem modernen dunklen Business Anzug aus dem Hause Hugo Boss. Soweit hätte Isabelle ihn noch als reichen Geschäftsschnösel abgetan, der wahrscheinlich den Großteil seines Geldes mit Spekulationen an der Wall Street verdiente. Isabelle liebte es Menschen in bestimmte Schubladen zu stecken. Im Großteil der Fälle lag sie mit ihren Einschätzungen auch meist richtig und wurde selten überrascht. Während ihres Studium hatte Isabelle den Großteil ihrer Bekanntschaften und Freunde auf Grundlage jener Beobachten ausgewählt. Sie wusste mit welchem Schlag Mensch sie gut auskommen würde und welche sie lieber vermeiden sollte. Von Zeit zu Zeit kam es aber auch vor, dass Isabelle mit ihren Vermutungen mal vollkommen daneben lagen. In solchen Augenblicken liebte sie es genauso falsch gelegen zu haben und eines besseren belehrt zu werden. Ein Anzugs- und Krawattenträger, der auf dem Bau arbeitete. Eine junge Frau aus der Punk Szene mit zerrissenen Jeans und Lederjacke, die Kindererzieherin war.
Das Besondere an dem offensichtlichen Business Mann am Flughafen war unter anderem seine Frisur. Er hatte rot gefärbte Haare, etwa schulterlang, die zu einem kleinem Zopf zusammen gebunden waren. An seinem linken Ohr trug er zudem 3 Piercings, die durch eine kleine Kette miteinander verbunden waren.
Der Mann war im Laufe der 20 Minuten Wartezeit wahrscheinlich ca. 5 Mal an Isabelle vorbeigelaufen und sie dabei fast schon ein wenig zu genau inspiziert. Seinen Blick hatte Isabelle dabei nicht richtig ausmachen können, da seine Augen stets unter einer Sonnenbrille versteckt waren. Als sie später die Einwanderungskontrollen der amerikanischen Sicherheitsbeamten passierte, befand sich der Mann knapp hinter ihr. Nun saß sie bei McDonalds und stellte erneut fest, dass sich ‘Pumuckl‘ offensichtlich nicht von ihr fern halten wollte. Auch wenn er sich offensichtlich bemühte, gespannt in seiner Zeitung zu lesen, waren seine spontanen Rundblicke doch mehr als auffällig.
Isabelle wunderte sich ein wenig über sich selbst, dass sie trotzdem ruhig und gelassen am Tisch saß. Normalerweise sah sie sich als eine eher ängstliche Person, die in Situationen wie dieser Panik überkam. Sie hasste Horror Filme, konnte Achterbahnen mit Loopings nicht ausstehen und vermied es so gut es möglich war abends im Dunkeln allein nach Hause zu gehen. Aber heute war sie eher von einer Neugier als einer Angst gepackt und entschloss sich spontan der Sache auf den Grund zu gehen.
Isabelle verschlang schnell den letzten Bissen ihres Burgers, nahm ihre Tasche sowie ihren Rucksack und ging im Eiltempo Richtung Toilette. Sie folgte den Symbolen am Flughafen und drehte sich in regelmäßigen Abständen nach hinten um, um sich zu versichern, dass ihr mysteriöser Verfolger auch die Chance hatte sie im Blickfeld zu behalten. Als sie schließlich die Damentoilette erreicht hatte, ging sie schnell hinein, holte eine Dose Pfefferspray aus ihrer Tasche und steckte sich diese in ihre Jackentasche.
Sicher ist sicher, dachte sich Isabelle und verließ im gleichen Tempo die Toilette und lief dem Mann schnurstracks entgehen. Als sie nur noch ein paar Meter voneinander entfernt waren, hielt Isabelle an. Mit einer Hand in der Jackentasche und einem komplett auf den Mann fixierten Blick fing sie an:
“Was wollen sie? Sie müssen mich wohl komplett für bescheuert halten. Ich habe mitbekommen, dass sie mir seit der Landung nachstellen und hätte gern den Grund dafür gewusst.”
Isabelle war von ihrer Direktheit selbst ein wenig überrascht. Soweit sie sich erinnerte, war sie nie diejenige gewesen, die die Initiative ergriffen hatte.
“Entschuldigen sie. Ich wollte sie nicht verunsichern oder ihnen einen Schrecken einjagen. Das haben sie gerade eher mit mir gemacht. Sie wurden mir als extrem schüchtern mit einem gewissen Mangel an Selbstbewusstsein beschrieben.”
“Sind sie engagiert worden um mir Komplimente zu machen? Ich denke sie sollten daran noch ein wenig arbeiten.”
“Ich denke ich werde ihre Akte erstmal überarbeiten müssen sobald ich wieder auf Arbeit bin. Von Zurückhaltung kann man bei ihnen im besten Fall nicht sprechen.”
Der Mann räusperte sich kurz, nahm seine Sonnenbrille ab und gab Isabelle die Hand.
“Verzeihen sie. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Agent Thomas Archer vom CIA.”
“Sie sind vom...” Isabelle zögerte, war vollkommen verdutzt, und sprach die folgenden Buchstaben mit einer jeweils kurzen Unterbrechung aus. “Vom C...I...A...?”
Sie wusste nicht wirklich damit etwas anzufangen. Klar war ihr die CIA ein Begriff aber was zum Henker wollten die von ihr? Sie war gerade erst in den Staaten angekommen, befand sich vielleicht seit einer Stunde auf amerikanischen Territorium und wurde schon von der
CIA bespitzelt.
Isabelle war nun wieder eher sie selbst. Gepackt von einer plötzlichen Nervosität und inneren Unruhe begann sie zu erklären.
“Sie müssen mich verwechseln. Ich bin gerade erst angekommen, war noch nie vorher hier und habe auch keinerlei Verbrechen zu Hause begangen. Ich habe weder Verbindungen zu Terroristen, noch nehme ich Drogen. Ich habe es bisher nicht mal geschafft einen Strafzettel für’s Falschparken oder zu schnell fahren zu bekommen.”
Thomas konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, kehrte aber schnell wieder zu seiner autoritäreren Art zurück.
“Sie haben vollkommen Recht. Wir konnten nicht einen Funken krimineller Vergangenheit bei ihnen entdecken. Wir sind aus einem anderen Grund auf sie gestoßen, Frau Kunze. Sie haben sich in ihren letzten Monaten einigen interessanten Phänomenen innerhalb der Psychologie gewidmet, die für uns von Interesse sind. Das heißt, ehrlich gesagt, haben wir erst vor ein paar Wochen begonnen uns mit diesen Phänomenen auseinander zu setzen. Wir haben einen Häftling namens Henrik Fisher in Untersuchungshaft. Er kommt ursprünglich aus Deutschland und hat das Land vor ca. 10 Jahren verlassen. Der Mann wechselte seitdem in regelmäßigen Abständen seinen Wohnsitz. Er hat so gut wie überall in Ländern der Europäischen Union gewohnt und ist schließlich vor einem Jahr in die Vereinigten Staaten gezogen. Er bekam das Visum durch seinen Arbeitgeber. Fisher arbeitete für ein amerikanisches Bestattungsunternehmen, das auch eine Niederlassung in London hatte. Angeblich beschäftigte sich das Unternehmen ausschließlich mit der Organisation von Beerdigungen. Wir sind gerade dabei das ein wenig mehr zu überprüfen, aber...ist auch egal. Jedenfalls arbeite Fisher gut 2 Jahre für das Unternehmen in London und wurde schließlich befördert. Er leitete bis vor kurzem eine Zweigstelle in New York City und flog in regelmäßigen Abständen nach London zurück.
Für die CIA wurde der Fall interessant als das NYPD, das New Yorker Police Department, darüber informiert wurde, dass besagter Henrik Fisher unter zwei verschiedenen Namen unterwegs sei. Er stellte sich den Zollbeamten unter dem Namen Harold Lang vor - sein Pass lief aber auf Henrik Fisher. Hätte der Typ nicht so lange darauf behaart er wäre Harold hätten die Beamten ihn wahrscheinlich gehen lassen, da das Passfoto mit seinem Gesicht eins zu eins übereinstimmte. Die Beamten durchsuchten also sämtliche Datenbanken nach einem Henrik Fisher bis sie letztendlich auf eine Aufforderung des CIA stießen. Die CIA hatte eine Fahndung nach einem Harold Lang rausgegeben. Keinerlei Fotos, nur ein Stück Papier mit der eigenhändigen Unterschrift des Gesuchten. Nach einer Schriftbild Überprüfung wurde Harold bzw. Henrik festgenommen und an uns übergeben. Den Grund seiner Inhaftierung kann ich an dieser Stelle nicht nennen.
Um aber zu ihnen, Frau Kunze, zu kommen. Wir haben ihn nun seit gut einem Monat unter Gewahrsam. Am Ende einer jeden Aussage sprach er von einer Person, die uns helfen könne seine Handlungen zu verstehen und ihnen einen Sinn zu verleihen. Er ließ keine Gelegenheit aus ihren Namen zu erwähnen - Isabelle Kunze.
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